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by Peter Hoefl

Serviceerlebnis: Die Geschichte von Ringdingding

Ringdingding ist der Name, den der Münchner Berater Peter Höfl der dreißig Jahre alten Vespa gab, die er sich zu Beginn des Frühjahrs zulegte. Nicht nur der Roller ist ein Oldtimer, auch die Geschichte des Erwerbs erinnert stark an eine Zeitreise in überwunden geglaubte Servicewelten.

Wir schimpfen gerne über den Service in großen Unternehmen. Eine ganze Branche bietet Dienstleistungen und Technik zur Optimierung im Kundenservice bis zum Abwinken an. Wir erfinden ständig neue Schlagwörter, die die Kundenorientierung belegen sollen. Zufrieden sind wir mit dem Service der Hersteller, Telefonkonzerne, Versicherungen etc. trotzdem nie. Auf der anderen Seite glorifizieren wir den kleinen Händler und Handwerker um die Ecke. Das sind diejenigen, die durch die globale Konkurrenz vom Aussterben bedroht sind und bei denen wir doch eigentlich den guten und authentischen Service bekommen. So zumindest das folkloristische Narrativ. Dass die Realität dann doch wieder etwas anders aussehen kann, will ich mit meinem Erlebnis zeigen.

Wie es losging

Es fing alles ganz harmlos an, als ich auf einschlägigen Portalen im Internet surfte. Plötzlich tauchte ihr Bild vor mir auf. Knallig rotes Blechkleid, an wichtigen Stellen weiß gepolstert und ein paar, ebenfalls weiße, schmückende Accessoires. Mit ihren dreißig Jahren wirkte sich noch ganz attraktiv, wenn auch das Leben sicher schon den ein oder anderen Kratzer hinterlassen haben dürfte. Dafür sollte es sie zu einem akzeptablen Preis geben, die Vespa PK125 XL. Angeboten wurde der Roller von einem unabhängigen Händler in meiner Umgebung. Das Internetportal bot die Möglichkeit über einen Button per Email mit dem Anbieter Kontakt aufzunehmen. Gesagt, getan und es passierte . . . tagelang nichts.

Mir riss der Geduldsfaden. Hätte ich den Roller nicht unbedingt kaufen wollen, wäre an dieser Stelle schon Schluss. So recherchierte ich aber die Kontaktdaten und recht exotischen Öffnungszeiten des Händlers. Bei der nächstmöglichen Gelegenheit tätigte ich meinen Anruf mit der Frage, wann jemand im Haus sei, der etwas zu dem Roller sagen könne und wann man ihn besichtigen könne. Die Dame verwies auf den Chef, der am Folgetag nachmittags im Laden sein würde.

Der nächste Tag: Ich suchte den Laden auf. Auf den ersten Blick war nicht klar, ob es sich um einen Verkaufsraum handelte oder doch die Werkstatt. Die Beleuchtung und Atmosphäre war eher düster und mir fielen die orange blinkenden Ladegeräte am Boden auf, die einige Batterien mit Strom versorgten. Jedenfalls gab es zwischen all den gebrauchten Rollern, Mofas und Mopeds unterschiedlicher Fabrikate auch einen Tresen, hinter dem eine Mitarbeiterin stand. „Ich hatte gestern angerufen wegen der Vespa. Hatten wir beide da zusammen gesprochen?“ war meine Frage als potenzieller Kunde nach kurzer Begrüßung. Das Gesicht der Mitarbeiterin strahlte eine gewisse Ratlosigkeit aus als sie verneinte, da sie heute ihren ersten Arbeitstag hätte und der Chef sei auch nicht da, weil er irgendwo Maschinen abholt. Müsste aber bald kommen. Ein Getränk und ein Platz zum Warten wurde mir nicht angeboten, wo auch in dem Chaos von Fahrzeugen und Regalen mit Helmen und Motorradjacken? Letztlich erbarmte sich die Dame, den Chef auf dem Handy anzurufen und dessen voraussichtliche Ankunftszeit zu erfragen. Eine Stunde sollte es noch dauern. Meine Frage nach einem Café in der Nähe wurde auch nur mit einem bedauernden Schulterzucken und Nichtwissen beantwortet.

Das Verkaufsgespräch

Eine Stunde später: Ich hatte die Wartezeit mehr oder weniger angenehm überbrückt und als ich den Laden wieder betrat, war da tatsächlich noch eine weitere Person, offensichtlich der Chef. Allerdings war er mit anderen Kunden beschäftigt, die gerade ein Mofa abholten. Dabei führten dann er und die neue Mitarbeiterin noch einen verbissenen Kampf mit dem PC, beziehungsweise dessen Scannerfunktion. Zwischendrin schenkte man mir doch mal kurz Beachtung: „Du bist wegen der Vespa da? Hast ja gesehen, wo sie steht. Schau sie dir ruhig an, ich komm dann zu dir.“ Irgendwann waren dann die anderen Kunden abgefertigt und der Chef fragte mich: „So, was willst jetzt wissen? Viel kann ich auch nicht sagen.“ Ich meinte, dass mich zum Beispiel das Vorleben der Maschine und der technische Zustand, sowie eventuelle bekannte Mängel interessieren würden. Außerdem wäre es schön zu wissen, was das tatsächliche Baujahr wäre, denn im Internet stand 1985, während das Schild an der Maschine 1988 zeigt und der online ausgelobte Elektrostarter wäre ja wohl auch nicht vorhanden. Das falsche Baujahr wurde der Mitarbeiterin in die Schuhe geschoben, mit der ich am Vortag telefoniert hatte. Die hätte die Internetanzeige gemacht, arbeitet aber jetzt eh nicht mehr hier. Das mit dem Elektrostarter sei ebenso deren Fehler und außerdem überbewertet, die funktionieren sowieso meistens nicht.

Die Vorgeschichte bestand darin, dass der Roller lange Jahre im Besitz eines Mannes war, der nun das Rollerfahren aufgegeben hätte. Dann sei die Vespa in dem Laden gelandet. Vor einem Jahr hätte sie ein junges Mädchen gekauft und wieder zurückgegeben, da sie mit der Handschaltung nicht klarkam. Jetzt müsse sie raus, ich würde ja sehen, wie es hier aussieht. Da konnte ich nur bestätigend nicken. Was die Technik anginge, sei sie wohl in Ordnung, TÜV würde noch gemacht. Damit ich nicht noch auf dumme Ideen komme, erzählte er mir auch, dass er die jungen Burschen, die damit eine Probefahrt machen wollten, wieder weggeschickt hätte.

Das Gefühl, als Kunde wertgeschätzt zu werden, kam bei mir zu keiner Sekunde auf. Ich zögere auch, von dem Inhaber als einem Verkäufer zu sprechen. Er machte den Eindruck ein wenig durch den Wind zu sein. Möglicherweise ein begnadeter Schrauber, aber entweder überfordert oder einfach keine Lust auf Verkauf. Trotzdem, der Preis war in Ordnung und ich hatte mir das Teil eingebildet. Also zahlte ich etwas an und wir vereinbarten, dass noch die Hauptuntersuchung gemacht würde. Als er dann aus einem Ordner zwei Exemplare eines selbst entworfenen Kaufvertragsformulars hervorzog und diese mit Hilfe von Kohlepapier ausfüllte, habe ich mich tatsächlich in die Zeit zurückversetzt gefühlt, als ich meine erste Vespa fuhr.

Die Geduldsproben

Ein paar Tage vergingen, in denen die Hauptuntersuchung gemacht werden sollte und ich habe mir zwischenzeitlich die elektronische Versicherungsbestätigung von meiner Versicherung kommen lassen. Als der Anruf kam, dass das Untersuchungsergebnis „ohne Mängel“ lautete, teilte ich dem Händler mit, dass ich seinen Zulassungsdienst in Anspruch nehmen würde. Die eVB würde ich vorbeibringen und dann könnten wir auch die Restzahlung machen. Das brachten wir ohne größere Besonderheiten über die Bühne, was heißt, dass das schon wieder alles recht hemdsärmelig vor sich ging. Doch etwas gibt es noch zu berichten: Ich hatte ja am Preis nicht groß rumgehandelt, sondern gemeint, dass er mir dann ja bei der Ausrüstung mit Helm, Handschuhen etc. entgegenkommen könne. Darauf war der Händler auch bereitwillig eingegangen. Bei diesem Besuch machte ich mich nun auf die Suche nach einem passenden Helm in dem Laden um für die Abholung nach der Zulassung gerüstet zu sein. Entweder die Helme passten nicht auf meinen Kopf oder vom Design einfach nicht zu der Vespa. Also wandelten wir die Vereinbarung in das Versprechen eines Gutscheins um.

Mehrere Werktage herrschte Schweigen. Eigentlich sollte so eine Zulassung, wenn Sie über einen Zulassungsdienst erfolgt, ja kein Langzeitprojekt sein. Meine Gutmütigkeit wurde erneut auf eine harte Probe gestellt. Als ich dann anrief und mich nach dem Stand der Dinge erkundigte, erhielt ich nach einer Woche grünes Licht für die Abholung. Nur gut, dass es während dieser Wartezeit einen Wintereinbruch gegeben hatte, der sowieso keine Zweiradlaune aufkommen ließ.

Die Übergabe

Sobald es die Witterung erlaubte, fuhr ich zur Übergabe. Wenigstens klappte das terminlich. Der Roller stand vor dem Geschäft und mein Wunschkennzeichen, das ich mir selbst schon online reserviert hatte, war montiert. Im Laden erfolgte dann die Übergabe der Papiere. Als ich nach dem zweiten Schlüssel und einer Betriebsanleitung fragte, ging erstmal eine Sucherei los, die letztlich erfolgreich endete. Wir gingen zum Fahrzeug und leider hatte man es nicht für nötig gehalten, das Gerät in irgendeiner Weise optisch einigermaßen fit zu machen. Als sich nach einigem Ziehen und Zerren die Sitzbank öffnete war darin immer noch Kram und Dreck vom Vorvorbesitzer aber natürlich kein Werkzeug oder irgendwas Brauchbares. Im Tank war etwas Flüssigkeit, das sollte für den Heimweg reichen.

Was jetzt kommt, dafür muss ich mich bei der Stadt München und allen, die hinter mir hergefahren sind, entschuldigen. Die dicke blaue Zweitaktfahne, die an diesem Tag sämtliche Umweltmesswerte in die Höhe schnellen ließ, führe ich auf das ranzige 2-Taktöl zurück, welches sich am Boden des Tanks abgesetzt hatte und dort vermutlich lange Zeit friedlich ruhte. Mein Vertrauen in die Hauptuntersuchung wurde kurz in Zweifel gezogen, doch Bremsen und die wichtigen Teile schienen zu funktionieren. Das viele Jahre lang nicht mehr gehörte vertraute Geräusch des Motors führte zu der spontanen Namensgebung „Ringdingding“ und erstmals kam so etwas wie Freude über den Kauf auf.

Eigentlich könnte die Geschichte jetzt zu Ende sein. Die folgenden Tage waren kein Rollerwetter und die Sitzbank leistete immer noch Widerstand beim Öffnen, was mich davon abhielt, die Tankstelle aufzusuchen um dort Anlass zur öffentlichen Belustigung zu geben. Mit etwas Anti-Korrosionsspray und einem Hammer ist das Problem inzwischen beherrschbar. Vielleicht überlege ich mir gelegentlich eine nachhaltigere Lösung. Das ist auch kein großes Thema, denn es ist halt ein Oldtimer und kein Neufahrzeug.

Der Epilog

Sehr erstaunt war ich, als ich in der Post knapp zwei Wochen nach der Zulassung ein Schreiben einer Versicherung fand, zu der ich bisher in keinerlei Geschäftsbeziehung stand. Ich hatte eigentlich die Vertragsunterlagen von meinem Versicherungsunternehmen erwartet. Der Betreff des fremden Briefes lautete „Kraftfahrtversicherung - Antragsanforderung EILT“. Inhaltlich stand darin, dass Ringdingding im Zuge der Zulassung bei dieser Versicherung angemeldet worden war und man aber von mir noch den Antrag bräuchte. Ich verstand nicht, warum der Scooter nicht bei meiner Versicherung, von der ich die Versicherungsbestätigung zur Anmeldung an den Händler übergeben hatte, angemeldet wurde. Um den Sachverhalt zu klären, versuchte ich die fremde Versicherung telefonisch zu erreichen. Es blieb beim Versuch, denn es scheiterte an der telefonischen Erreichbarkeit und die Mail mit der ich den Vertrag widerrief wurde dann auch erst eine Woche später beantwortet. Nun ja, nach vielen, vielen Jahren in der Prüfung von Servicequalität konnte mich das nicht mehr verwundern. Immerhin reagierte meine Versicherung prompt und informierte die Zulassungsstelle darüber, dass sie nun Versicherungsgeber ist. Wie es dazu kam, bleibt weiter ein Rätsel.

Zwischenzeitlich kam von dem Fahrzeugportal auf dem ich Ringdingding gefunden hatte eine Mail, in der ich um die Bewertung meiner Erfahrung gebeten wurde. Ich mache das grundsätzlich nicht, da ich ja selbst mit der Beurteilung von Serviceleistungen mein Geld verdiene und mich da normalerweise qualifiziert mit Servicequalität auseinandersetze. In diesem Fall war es jedoch für mich der Anlass um den Händler noch einmal zu kontaktieren. Mit der Versicherungsgeschichte hatten wir ja eh noch Gesprächsbedarf und von dem versprochenen Gutschein habe ich auch nichts mehr gehört oder gesehen.

Ich schickte ihm also eine Mail, in der ich ihm meine Erfahrungen als Kunde schilderte, die ich auch hier aufgeschrieben habe und teilte ihm mit, dass ich auf eine Bewertung verzichte, da diese nur grottenschlecht ausfallen würde und ich auch keine Weiterempfehlung geben kann.

Zwei Tage später rief mich der Schrauber an und begann, mir am Telefon sein Leid zu klagen. Von Überforderung, fehlenden Umsätzen im Winter, Problemen mit Personal, eigener Krankheit, Krankheit von Mitarbeitern, Kreditverpflichtungen, Bürokratie war die Rede. Es war die volle Breitseite dessen, was es tatsächlich nicht leicht macht, ein kleines Unternehmen zu führen. Das war zwar alles durchaus nachvollziehbar und ich könnte dafür auch jede Menge Verständnis aufbringen und mich in die Situation hineinversetzen. Doch als Kunde will ich das nicht hören! Es interessiert mich in dieser Rolle einfach nicht!

Zu dem Thema der falschen Versicherung kam natürlich nur Ahnungslosigkeit und der Verweis auf den Zulassungsdienst, der wiederum bei meinem Anruf den Ball an den Händler zurückspielte. Der Sachverhalt wird sich wohl nicht mehr klären lassen, ist aber nicht geeignet mein Vertrauen in die Seriosität der Beteiligten zu fördern. Das Gutscheinversprechen, das am Telefon erneuert wurde, ist inzwischen vermutlich in Vergessenheit geraten, wenn es überhaupt je ernst gemeint war.

Es gibt aber auch positive Nachrichten: Ringdingding gibt keine übertrieben blauen Abgaswolken mehr von sich, der Motor schnurrt und die erste Ammersee-Umrundung inklusive Eisdielenbesuch war erfolgreich. Primavera pur!

Nachdenkliches

Warum habe ich Ihnen die Geschichte erzählt? Weil sie ein gutes und trauriges Beispiel dafür ist, wie ein Handwerksbetrieb ohne besondere Anstrengung auf dem besten Weg ist, sich selbst ins geschäftliche Abseits zu manövrieren.

Von der ersten Sekunde wurde diese geschäftliche Beziehung von negativen Eindrücken geprägt. Es begann mit der Erreichbarkeit und setzte sich in dem gammeligen Ladengeschäft fort, bei dem man aufpassen musste, sich nicht die Kleidung mit Öl und Dreck zu verschmutzen.

Von einer Identifikation des Händlers mit seinen Produkten war nichts, überhaupt nichts zu spüren. Niemals würde ich auf den Gedanken kommen, dass er seine Arbeit nur annähernd gerne macht und er sich über Kunden freut. Alles schien ihm mehr als lästig und nur zu nerven. Seien es andere Kaufinteressenten, über die schlecht gesprochen wurde oder Mitarbeiterinnen, die in Anwesenheit des Kunden abgewertet wurden.

Es mag ja sein, dass sich die geschäftliche Situation für manchen kleinen Händler und Handwerker als ziemlich prekär darstellt. Finanzielle Belastungen und Sorgen, die verzweifeln lassen und man steckt in einer abwärts gerichteten Spirale und kann das auch gegenüber der Umwelt nicht mehr verbergen. Nur kann der Kunde dafür am wenigsten und diesen Eindruck, den er mitnimmt, wird er weitertragen und so die Situation noch verschlimmern.

Ob in dem geschilderten Fall noch etwas zu retten ist, will ich nicht abschließend beurteilen. Diese Geschichte soll aber ein Appell an all diejenigen Betriebe sein, die ebenfalls in Turbulenzen sind und deren Inhaber gegen den Untergang kämpfen. Trost und Rat kann von Familie, Freunden und Bekannten kommen. Denken Sie aber daran, sich professionelle und externe Hilfe mit ins Boot zu holen um das Ruder herum zu reißen. Das ist keine finanzielle, sondern eine existentielle Frage und vielleicht sogar eine, die die persönliche Gesundheit betrifft. Klar ist man es als Handwerker oder Inhaber gewohnt, Entscheidungen selbst zu treffen und externen Beratern steht man zunächst mal skeptisch gegenüber. Dabei könnten andere Perspektiven oft helfen.

Während Sie darüber nachdenken, fangen Sie an, sich wieder um die scheinbar kleinen und unwichtigen Dinge wie den aufgeräumten Laden und Sauberkeit zu kümmern. Versuchen Sie unter dem Staub ein gewisses Quantum an Freude und Wertschätzung für Ihre Kunden, Mitarbeiter und Produkte wiederzufinden. Rufen Sie sich in Erinnerung, was Sie seinerzeit motiviert hat, Ihr Geschäft zu eröffnen.

  © 2018-2019, Autor und alle Rechte bei Peter Höfl

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